Wo du nicht bist [Rezension]

 


"Dein Ist Mein Ganzes Herz" 



Titel: Wo du nicht bist
Autor: Anke Gebert
Verlag: Pendragon
Seiten: 293
Erscheinungsjahr: 2020
ISBN: 978-3-86532-672-0
Genre: Historienroman, Aus dem Leben gegriffen
Art: fester Einband


"Unsere Heirat konnten sie verhindern, aber gegen unsere Liebe werden sie nichts tun können!
(S.225)  

"Ihr Blick schweift vom Gesicht des Standesbeamten ab, hin zu dem Alpenveilchen, das zwischen ihr und dem Mann steht.







Im Berlin der späten 20er Jahre arbeitet Irma Weckmüller als Verkäuferin im KaDeWe und sorgt allein für sich und ihre Schwester Martha. Doch Irmas Leben ändert sich grundlegend, als sie den charmanten Arzt Erich Bragenheim kennenlernt. Sie fühlt sich sofort zu ihm hingezogen und kann ihr Glück kaum fassen, als Erich ihre Gefühle erwidert. Zwischen den beiden entwickelt sich eine innige und tiefe Liebe. Doch mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus sind sie schon bald ­großer Gefahr ausgesetzt, denn Erich ist Jude.

Nach dem Krieg: Erich wurde ermordet, Irma bleibt allein zurück. Doch sie ist noch immer entschlossen, seine Frau zu werden …




"Wenn sich Leute voneinander verabschiedeten, sagten sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr 'Mach es gut' oder 'Auf Wiedersehn', sondern: 'Bleib übrig!'
(S.150) 

 




Es fällt nicht schwer, in die Geschichte reinzukommen und in ihr zu verweilen. Im Grunde fliegt man nur so durch die Seiten, weil der Schreibstil sehr leicht ist und es alles in allem ein nur sehr kurzes Lesevergnügen ist. Für meinen Geschmack zu kurz. Jetzt muss man natürlich zu Gute halten, dass es nach einer wahren Begebenheit geschrieben wurde. Um Dramatik aufzubauen, so steht es im Nachwort, musste einiges dazugedichtet werden, was ich nicht weiter schlimm finde, sondern im Sinne eines solchen Romans in der Natur der Dinge inbegriffen. Von mir aus hätte es ruhig noch mehr sein können!

Es ist nämlich so, dass vieles ruckartig eingeläutet wird, oder der Vorhang wird immer halb vorgehalten, um Privatsphäre zu generieren, wo nicht einmal der Leser eindringen kann. Gerade in der Kennlernphase der beiden Protagonisten hätte ich mir das aber sooo gewünscht. Diese Distanz hat natürlich den Effekt, dass sie die Geschichte glaubwürdiger und wie einen Tatsachenbericht erscheinen lässt, als sei es ein Zeitzeugenbericht, was es ja schon irgendwie ist. Aber eine richtige emotionale Nähe konnte ich so leider nicht aufbauen.

Trotzdem hat mich die Geschichte keineswegs kalt gelassen. Die Nüchternheit der Erzählung hat die Atmosphäre der Zeit bestimmt gut transportiert. Ich finde es super, dass sich die Autorin dazu entschlossen hat, dieses Schicksal für die Nachwelt festzuhalten. Wäre es eine rein fiktionale Geschichte, hätte ich gesagt, dass die "Idee" richtig gut ist. Eine Eheschließung mit einem Verstorbenen...

Was mich auf jeden Fall gefesselt hat, waren die vielen Details (Straßennamen und historische Fakten) und das Highlight waren auf jeden Fall die aufgeführten Quellen (Fotos und Heiratsurkunde). Ich hätte mir davon noch viel mehr gewünscht, aber vielleicht war das nicht möglich. Das hat einem dann doch einen Kloß im Hals verursacht, zu sehen, wie wirklich das alles war.

Eine Sache ist mir noch bezüglich der Perspektive aufgefallen. Der Erzähler wirkt in der ersten Hälfte neutral zu sein (vielleicht mit Tendenz zu Irmas Sicht), aber dann gibt es auf einmal eine Wendung: Er wird zum personalen Erzähler aus Erichs Sicht, um dann wieder Irma zu schwenken, mit personalen Anteilen. War es schon die ganze Zeit aufgefallen. Das passt schon irgendwie, da es an die Empathie der Leser appelliert. Aber dass es so stark auffällt, sollte eigentlich nicht sein. Es offenbart den Backstage Bereich, der den Lesern eigentlich verborgen bleiben sollte.

Ein weiterer Punkt sind einige Tippfehler, die das Lektorat übersehen hat. Das passiert, aber es ist einige Mala vorgekommen.

Als Letztes möchte ich noch ansprechen, wie schön ich es fand, dass die beiden Zeitstränge parallel verliefen und sich weiterentwickelt haben. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich darüber jemals verwirrt war und die Zeiten nicht zuordnen konnte.
Also insgesamt ein gutes Buch, dass aber doch noch weiter in die Tiefe hätte gehen können.



"Manche sind bereits entwurzelt und treiben tot dahin. Mein Erich soll den Sturm überleben.
(S.253)

 Dein ist mein ganzes Herz




"Manche Leute tauten Eiszapfen auf, weil sie ansonsten keinen Zugang zu Trinkwasser hatten. Jedes Mal nahmen sie dann ein paar Körnchen verbrannter Menschen in sich auf, dachte Irma und fragte sich, wessen Asche ihr der kalte Wind auf ihrer Suche nach einem Anwalt ins Gesicht wehte. Wie viele Körnchen Mensch atmete sie gerade ein?" 

(S.154)



Emotional, und doch sehr distanziert erzählt!


"Hier, direkt an diesem Herzen, ist meine Welt. Das brauche ich. Für immer."
(S.121)












"Irma kannte Menschen, deren Haar im Krieg innerhalb einer Nacht ergraut war."  
(S.12)

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"Typisch für Bengel, die lassen sich gern Zeit. Erst immer voraus, und wenn es ernst wird, wollen sie nicht auf die Welt. Kein Wunder, so wie es draußen gerade zugeht. Mit der Inflation und den ganzen Politischen, die sich jetzt fast jede Nacht auf der Straße prügeln. Da würde ich auch nicht raus wollen.
(S.69)

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"Sie hatte kaum Erfahrungen mit Männern. Zwar hatte sie im Kaufhaus schon einmal einen Verehrer aus der Hutabteilung gehabt, den hatte sie jedoch abblitzen lassen, weil er ihr nicht gefiel.
(S.92)

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