Christmasland [Rezension]

 


"Ist das nicht die schönste Zeit des Jahres?" 



Titel: Christmasland
Autor: Joe Hill
Übersetzung: Aus dem Amerikanischen von Sara und Hannes Riffel
Verlag: Heyne
Seiten: 800
Erscheinungsjahr: 2013
ISBN: 978-3-453-26882-1
Genre: Thriller, Horror
Art: fester Einband


 

"Weihnachtsmusik im Frühling hatte etwas Gruseliges. Wie ein Clown im Regen, dem das Make-up verlief.
(S.183)  

"Schwester Thornton betrat die Dauerpflegestation kurz vor acht mit einem Beutel warmem Blut für Charlie Manx. 


"Der Unterschied zwischen Kindheit und Erwachsenenalter entsprach dem zwischen Imagination und Resignation. Man tauschte das eine gegen das andere ein... und verirrte sich.
(S.615)  





Kinder, wollt ihr ewig leben? Charlie Manx ist ein sehr, sehr böser Mann mit einem sehr, sehr bösen Auto. Er entführt Kinder nach »Christmasland«, wo ewige Weihnacht herrschen soll. Die Kinder erwartet dort jedoch etwas Grausames, und es gibt keinen Weg zurück. Einzig Vicky könnte dem Schrecken Einhalt gebieten. Als ihr kleiner Sohn verschwindet, entbrennt zwischen ihr und Charlie ein Kampf, der jeden Albtraum verblassen lässt.


"Sie hatte das Gefühl, dass dies die einzige Schlacht war, die es zu schlagen lohnte - der Versuch, das Chaos der Welt in Worte zu fassen
(S.653) 





Ich gebe es zu: Ich schreibe diese Rezension jetzt erst ein Jahr, nachdem ich das Buch gelesen habe. Das liegt daran, dass ich sie vor Weihnachten veröffentlichen wollte. Jetzt bin ich ganz froh darüber, denn nun zeigt sich, wie nachhaltig der Eindruck ist, den das Buch auf mich gemacht hat.
Tatsächlich ist es so, als würde ich mich an etwas zurückerinnern, das ich selbst erlebt habe, so eindrücklich war die Geschichte. Obwohl es sich um einen Thriller handelt, der definitiv in die Horror-Sparte einzuordnen ist, habe ich mich in der Welt und Handlung pudelwohl und geborgen gefühlt. Ich empfehle jedem, die weiter unten aufgeführte Playlist beim Lesen zu hören. Und macht möglichst viele Pausen, lasst alles auf euch wirken. 

Gerade die fantastisch anmutenden Elemente hatten den Zauber von alten Kinder- und Familienfilmen und können definitiv mit Stephen King mithalten, der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.

Hervorzuheben ist die Sprache. Dieses Buch ist absolut NICHT jugendfrei, das meine ich ernst. Allein schon die Sprache trieft an Gewalt und Obszönoitäten sondergleichen. Aber das macht eben auch den "Charme" dieses Romans aus. In den aufgeführten Zitaten findet sich bestimmt die ein oder andere Kostprobe, sodass jeder versteht, was ich meine, aber die wirklich harten Kaliber habe ich mich gar nicht getraut, abzudrucken.

Was ich auch als super umgesetzt empfunden habe, ist die Charakterentwicklung. Die Charaktere sind sowohl psychologisch als auch plotbezogen detailiert ausgearbeitet. Dazu das spektakuläre Worldbuilding und die Aussagekraft neben dem rasanten Spannungsbogen: Für mich ein Meisterwerk, das mich auch noch ein Jahr später in Verzücken, Angst und Schrecken versetzt. 




"Das ist der Mensch, aufs Wesentliche reduziert. Die Tribute, aber auch Sie. Wie flüchtig die Zivilisation doch ist. All Ihre guten Manieren, Erziehung, familiärer Hintergrund, alles, worauf Sie stolz sind - im Bruchteil einer Sekunde fortgewischt, und übrig bleibt nur, was Sie eigentlich sind. Ein Junge mit einem Stück Holz, der einen anderen Jungen totschlägt. So ist der Mensch in seinem Naturzustand.
(S.288)

 White Christmas
Joy to the World
Sam Spade
Phish
Little Drummer Boy
The first Noel
Burl Ives ~ Holly Jolly Christmas
Have a holly, jolly fucking Christmas
Alvin und die Chipmunks Weihnachtslied
Nirwana-Songs von Cobain
R.E.M. ~ Abbey Road
Judy Garland ~ Merry Little Christmas
Jingle Bell Rock
The Twelve Days of Christmas
All I Want for Christmas Is You
Silver Bells
It Came Upon a Midnight Clear
Bob Seger
Bob Dylan
John Lennon
Byron
Keats
Soundgarden
Berliner Philharmoniker ~ Wolkenatlas (Frosbisher-Sextett)
Jorney
Ihr Kinderlein, kommet
O Little Town of Bethlehem
Burl Ives



"Er akzeptierte schon lange, dass jeder seine eigene Welt in sich trug, die so real war wie die gemeinsame Welt, an der alle teilhatten."  

(S. 710)




Eine grandiose Komposition!



"[...] als Bing zum Himmel hinaufschaute, entdeckte er, dass der Mond ein Gesicht hatte. Ein einzelnes, blutunterlaufendes Auge starrte ihm aus der schmalen Totenkopffratze, eine Landschaft aus Kratern und Knochen, entgegen. Das Gesicht grinste. 'BING; DU VERRÜCKTER MOTHERFUCKER; BIST DU BEREIT FÜR DIE FAHRT DEINES LEBENS?!?"
(S.67)







"' Wo bin ich?', fragte Nathan Demeter. "Was ist das hier für ein Ort?' Der Gasmaskenmann öffnete die Tür und ließ den Duft des Frühlingsmorgens herein. 'Endstation', sagte er.
(S.280)







"In diesem Moment empfand sie nichts als Liebe, und das war genug."  
(S.772)

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"Vic schloss die Augen und murmelte: Verdammt verdammt verdammt verdammt! - vielleicht das einzige ehrlich gemeinte Gebet, das ihr jemals über die Lippen gekommen war.
(S.677)

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"Sie holte tief Luft und sog noch einmal den Geruch von faulendem, in der glühend heißen Julisonne getrocknetem Karton und Papier ein. Wenn ein einziger Atemzug ein ganzes Leben zusammenfassen konnte, dann sollte es dieser sein, dachte sie bei sich.
(S.661)

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"Es überraschte ihn, dass er den Tränen so nahe war. Eigentlich fühlte er sich gar nicht traurig, es war eher die Erinnerung daran, wie es war, traurig zu sein.
(S. 608)

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"Gab es einen erbärmlicheren - und zugleich tiefer empfundenen - menschlichen Wunsch als den, eine zweite Chance zu erhalten?
(S.355)

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"Irgendwie hatte er sich mit seiner Situation abgefunden. Früher oder später wurde jeder von einem schwarzen Auto abgeholt. Man verließ in ihm die Menschen, die man liebte, um nie mehr zu ihnen zurückzukehren."
(S.278)

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" Die Ginflaschen hatten keine Bedeutung. Den Gin benutzte sie lediglich dazu, das Ecstasy hinunterzuspülen."
(S.159)

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"Sie atmete tief den Duft vermodernder Romane, zerfallender Geschichtswerke und vergessener Verse ein und stellte dabei zum ersten Mal fest, dass ein Raum voller Bücher wie ein Dessert roch: ein süßer Happen aus Feige, Vanille, Klebstoff und klugen Worten.
(S.118)

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"Möge Gott dich beschützen, mein kleiner Bing Partridge. Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt.
(S. 59)

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"Und das Gör hatte noch nie vor einer Mutprobe gekniffen, selbst wenn es nur eine war, die sie sich selbst auferlegt hatte. Besonders dann nicht!
(S.26)

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"Sie hatte immer gedacht, Liebe und Glück würden zusammengehören, aber wie sich herausstellte, waren sie nicht einmal entfernt miteinander verwandt.

(S.232)

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"Sie war so schön gewesen - hatte so vollkommene Mutterbrüste besessen -, dass er es erst über sich gebracht hatte, sie mit Lauge zu übergießen, als die Leiche zu stinken angefangen hatte. Selbst mit den Fliegen im Haar war sie noch schön gewesen - eigentlich sogar besonders schön. Die Schmeißfliegen hatten wie Edelsteine gefunkelt.

(S. 240)

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"Man musste wissen, wann es sinnvoll war, eine Schnur lieber durchzuschneiden, als sie zu entwirren.

(S.308)


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"Aber selbst wenn sie in den Rückspiegel geschaut hätte, wäre ihr das Auto, das ihr in zweihundert Metern Entfernung folgte, nicht aufgefallen. Nachts sahen alle Scheinwerfer gleich aus.

(S.372)


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"Der Raum roch nach alten Rohren, Beton, ungewaschenen Laken und Vergewaltigung.

(S.568)

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"Ja. Ja, ich weiß. Schon gut. Weißt du, woran du leidest? Am Menschsein.

(S. 792)

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