Das Wochenende [Rezension]
Titel: Das Wochenende Verlag: Diogenes Seiten: 240 Erscheinungsjahr: 2010 (2008) ISBN: 978-3-257-23965-2 Genre: Klassiker, Krit. Unterhaltung, Zeitgeschehen Art: flexibler Einband
"Christiane hatte eine Tischordnung gemacht, und vor jedem Teller stand ein Kärtchen mit Namen und Bild - einem Bild von damals. " "Die Terroristen unsere verirrten Brüder und Schwestern?‘ Ulrich schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht zu einem Ausdruck nicht nur der Ablehnung, sondern der Abscheu. ‚Glaubt ihr das auch?‘ Er sah in die Runde."
Ich gehöre wohl zu den wenigen Leser*innen, die an diesem Buch mindestens genau so viel Gefallen finden wie an Schlinks bekanntestem Werk "der Vorleser". In meinem Fall sogar noch ein Ticken mehr. Dagegen hat "Das Wochenende" von vielen Literaturkritikern eine eher dürftige Bewertung erhalten. Ich habe das Buch zweimal hintereinander als Hörbuch gehört, weil ich an einigen Stellen unaufmerksam war und es so kompensieren wollte. Ich kann auf jeden Fall empfehlen, es direkt mit der gedruckten Version zu versuchen. Nicht, weil die Vertonung zu wünschen übrig ließe, sondern weil ich mir vieles markieren wollte und es nicht konnte. Eine Eigenheit des Romans sind die verschlüsselten Elemente bezüglich der Figurenkonstellation. Wer ist jetzt nochmal wer und auf welcher Erzählebene befinden wir uns? Ich mag sowas ja, allerdings hat das Audioformat die Orientierung nochmal erschwert. Wer sich intensiv mit der RAF-Thematik beschäftigen will, der ist hier vielleicht nicht richtig. Das Thema wird oberflächlich bzw. aus philosophischer, ethischer Perspektive aufgegriffen (Kann Schuld verjähren? Welche Strafe ist angemessen? Bis zu welchem Punkt sind Revolutionen gerechtfertigt? Inwiefern sind die Taten der RAF besser als die eines jeden anderen Terrorismus oder sogar des Nationalsozialismus?), was einer der Hauptpunkte der Kritik ist. Ich kann diesen Punkt nicht nachvollziehen, da nie der Anspruch erhoben wurde, es handle sich um eine aufklärende Schrift. Ich fand es spannend zu sehen, wie die Vergangenheit Keile zwischen die Freunde treibt und Risse in der neu gebildeten bürgerlichen Fassade hinterlassen. Müsste ich zusammenfassen, worum es geht (Grins), so würde ich die Rolle des Terrorismus gar nicht in den Mittelpunkt stellen, sondern das Spannungsverhältnis von Vergangenheit und Gegenwart: Können wir unsere Werte und uns selbst im Laufe unseres Lebens verändern? Hier gibt es genug Zündstoff für solche und noch mehr Gedanken. Ich fand es in diesem Sinne auch gut, dass durch das Zusammentreffen auch andere, belanglosere Themen aufkamen. Ce la vie!
Ich könnte es noch ein paar Mal öfter lesen und würde immer neue Aspekte entdecken - zwischen den Zeilen und in meinem Kopf.
"So sind sie, die Juristen, drehen und wenden dir die Worte im Mund herum."
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