Der Heimweg [Rezension]

 


"Hatten Sie schon einmal solche Angst, dass jede Zelle Ihres Körpers mit Schmerz gefüllt war?" 



Titel: Der Heimweg
Autor: Sebastian Fitzek 
Verlag: Droemer
Seiten: 393
Erscheinungsjahr: 2020
ISBN: 978-3-426-28155-0
Genre: Thriller
Art: fester Einband

""Ich habe nur noch eine Sache selbst in der Hand, und das ist mein Tod
(S.147) 

 

"Nach all den Verletzungen, die ihr an den empfindlichsten Stellen ihres mit Blutergüssen übersäten Körpers schon beigebracht wurden; nach den Schlägen ins Gesicht, auf den Rücken, in Nieren und Unterleib, worauf ihr Urin für Tage die Farbe Roter Bete annahm; nach all den Schmerzen, die er ihr mit Gartenschlauch und Bügeleisen zugefügt hatte, hätte sie niemals gedacht, so etwas jemals wieder empfinden zu können




Es ist Samstag, kurz nach 22.00 Uhr. Jules Tannberg sitzt am Begleit-Telefon. Ein ehrenamtlicher Telefon-Service für Frauen, die zu später Stunde auf ihrem Heimweg Angst bekommen und sich einen telefonischen Begleiter wünschen, dessen beruhigende Stimme sie sicher durch die Berliner Nacht nach Hause führt - oder im Notfall Hilfe ruft.
Noch nie gab es eine wirklich lebensgefährliche Situation. Bis heute, als Jules mit Klara spricht.
Die junge Frau hat entsetzliche Angst. Sie glaubt, von einem Mann verfolgt zu werden, der sie schon einmal überfallen hat und der mit Blut ein Datum auf ihre Schlafzimmerwand malte: Klaras Todestag! Und dieser Tag bricht in nicht einmal zwei Stunden an ...



"Es ist kein Wunder, dass Menschen in ihrem Todeskampf oft davon berichten, wie kalt ihnen wird. Weil sie eins werden mit der einzigen Konstante des Universums.
(S.166) 






 "Achtet immer auf eure Intuition, Jungs. Helme, Arbeitskleidung, sämtliche Ausrüstung der Welt kann euch nicht so gut schützen wie eure innere, von Lebenserfahrung geschulte Stimme. Und wenn die euch sagt: 'Hier stimmt was nicht', dann stimmt meistens etwas nicht.

(S.210) 




Ein Fitzek, ganz eindeutig! Das erkennt man nicht nur an der ausgefallenen Aufmachung und dem Setting sowie dem Aufhebens um das Buch, sondern auch an dem Schreibstil. Dieser ist on point. Er benutzt einen reichhaltigen Wortschatz und vor allem viele Bilder, die zu der Thematik und Grundstimmung der Personen passen. Deswegen wirkt die Sprache manchmal hart und derb, was aber auch seinen Effekt hatte: Nicht umsonst übertrug sich das grausige Gefühl der leidenden Menschen in diesem Buch auf mich. Nicht selten wollte ich das Buch weglegen, weil es einem bestimmt eher Energie und Lebensfreude nimmt, als dass es sie gibt. Aber es war so spannend! 
Es gibt sehr viele Verstrickungen und Wendungen, sodass jeder ins Kreuzverhör gerät. Und es werden viele kleine Details beschrieben, genauso wie Fun-Facts den Lesenden schlauer machen und die doch sehr düstere Geschichte auflockern. Diese scheinen, vorsichtig gesagt, direkt aus Fitzeks Alltag zu stammen, etwa die Richtung, in der man Besteck in die Spülmaschine stellen sollte. Was ich sehr gut finde, ist, dass Fitzek Themen wählt, zu denen es einen gesellschaftlichen Anlass gibt, die aber, wie er selbst in seinem sehr eindrucksvollen Nachwort schreibt, nicht zu politisch aufgeladen sind, da es um die Unterhaltung gehe. Und die Fakten, die er dazu nennt, sind teilweise höchst schockierend. Etwa der, dass es bis 1997 in Deutschland legal war, seine Frau zu misshandeln (vgl. S.351). Ich vertraue darauf, dass die Angaben korrekt sind, ich war diesbezüglich selbst nicht auf Recherche. 
Was ich aber mit großer Leidenschaft beim Lesen verfolgt habe, sind die Schauplätze. Da habe ich eifrig gegoogelt. Ich hatte auch beim Lesen den Eindruck, dass der Autor es darauf angelegt hat, denn er macht einem die Verfolgung nur zu leicht. Im Internet habe ich dann gesehen, dass es tatsächlich Karten von Berlin mit Fitzek-Schauplätzen gibt. Über Touren würde ich mich auch nicht wundern. 

Wie ist nun meine doch eher mäßige Bewertung zu erklären? Nun, ein Thriller steht und fällt mit der Auflösung. So spannend der Ritt doch ist, so bedeutungsvoll ist auch der Fall und wie er letztendlich von statten geht. Klar ist: Irgendwie müssen wir am Ende vom hohen Ross runter. 
In diesem Fall waren es mir irgendwann einfach zu viel, auch zu viel kriminelle Energie und unglaubwürdige Beweggründe dahinter. Von Anfang an war mehr oder weniger klar, dass es einen großen Twist geben würde, nur noch nicht seine Richtung, da sich im Laufe der Geschichte mehrere Möglichkeiten aus Sicht der Lesenden ergeben. Aber es war doch schon ziemlich konstruiert, wenn ich jetzt zurückdenke. Die Spannung möchte ich dem Buch aber keineswegs absprechen. Die war schon beinahe mit Händen zu fassen. 

Oft wird über dieses Buch gesagt, dass es sehr heftig und wohl bis jetzt Fitzeks gewalthaltigster Roman wäre. Ich habe nicht alle seine Thriller gelesen, aber verstehe die Bewertung. Es ist tatsächlich ziemlich krass, sodass sich ständig sämtliche Nackenhaare aufgerichtet haben. Man wird mit einem ziemlich vielseitigen Spektrum von Gewalt bedient. Um es zynisch zu sagen: Für jeden ist was dabei. Und das ist vielleicht zu viel des Guten. Als wollte man alle menschlichen Abgründe in ein Buch packen. Fairerweise sollte ich aber noch sagen, dass es trotzdem ein klares Leitthema gab: Die häusliche Gewalt an Kindern und Frauen. 

Mir gefällt gut, wie Fitzek seine Leitthemen offen behandelt, sodass man verschiedene Perspektiven einnehmen kann. Seine Position wird zwar auch im Vor- und Nachwort deutlich, aber die Figuren handeln nicht immer danach. Als Leserin habe ich mir deswegen selbst eine Meinung bilden müssen: Wie kommt es, dass sich Gewalt und die Opferrolle "vererben"? Wie ist es ethisch vertretbar, diese Kette zu durchbrechen? Genau damit spielt Fitzek. Jeder, der darauf bereits eine vorgekaute Position serviert bekommen möchte, wird hier schlecht bedient. Und das finde ich gut so. 

Zu guter Letzt möchte ich noch loswerden, dass ich mich während des Lesens darauf gefreut habe, dass es bald vorbei ist. Es war echt grausam, so sehr wird man in diese Welt hineingezogen.

A pain that I'm used to ~ Dave Gahan
Somebody ~ Depeche Mode
Prélude Nr.4 ~ Chopin

"Meine Mama hat nie etwas gegen meinen Vater unternommen. Hat sich alles von ihm bieten lassen. Becci lernte dadurch, bewusst  oder unbewusst, dass das die naturgegebene Rolle einer Frau ist: die Dominanz des Mannes still und unterwürfig zu ertragen.

(S.364) 






"Wenn Gott kein Psychopath war, der sich eine bizarre Gewaltorgie namens Universum als Realityshow geschaffen hatte, um sie zur Entspannung und zu seinem perversen Vergnügen von der Ferne aus zu beobachten, hatte er sie alle hier schon lange aufgegeben, dessen war sie sich sicher." 

(S.231)



So spannend und ungemütlich, dass ich darauf hingefiebert habe, das Buch wieder weglegen zu können. Leider too much und konstruiert.


"Klara trat nach draußen in die kalte Januarluft und musste darüber nachdenken, dass 'vielleicht' auf Erden das womöglich grausamste und hoffnungsvollste Wort zugleich war. "
(S377)





"Ein guter Thriller konfrontiert uns mit einer erfundenen Gefahr und schult dadurch unsere Empathie.
(S.381, aus dem Nachwort Fitzeks)






""'Violence Play'. Zwei englische Wörter, die so entsetzlich gegensätzlich waren, dass sie in keiner Welt unter keinen Umständen in Zusammenhang gebracht werden dürfen.
(S.57)

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