Das Leben des Galilei [Rezension]

 


"Du musst lernen, die Augen aufzumachen" 





Titel: Leben des Galilei
Autor: Bertolt Brecht
Redaktion: Günther Busch
Verlag: Suhrkamp
Seiten: 131
Erscheinungsjahr: 1963 (1938/39)
ISBN: 3-518-10001-7
Genre: Klassiker, Drama
Art: flexibler Einband


"Die Schrift sagt, sie steht still. Und die Doktoren 
Beweisen, daß sie still steht, noch und noch. 
Der Heilige Vater nimmt sie bei den Ohren Und hält sie fest. 
Und sie bewegt sich doch.
(S.88)  

"In dem Jahr sechzehnhundertundneun
Schien das Licht des Wissens hell
Zu Padua aus einem kleinen Haus.
Galileo Galilei rechnete aus:
Die Sonn steht still, die Erd kommt von der Stell. 


"Die Wahrheit ist das Kind der Zeit, nicht der Autorität. Unsere Unwissenheit ist unendlich, tragen wie einen Kubikmillimeter ab! Wozu jetzt noch so klug sein wollen, wenn wir endlich ein klein wenig weniger dumm sein können!
(S.49)  




Galileo Galilei 1609 zu Padua: Er untersteht als Gelehrter der Kirche und muss Lehrlinge aufnehmen, um seine Forschungen zu finanzieren. Als Gegenleistung für die Dienste seiner Haushälterin unterrichtet er auch deren Sohn Andrea, doch bringt er diesem zum Leidwesen der Mutter nicht das bei, was den Lehren der Kirche entspricht, sondern das kopernikanische Weltbild. Da das Geld knapp ist, muss Andreas Unterricht gekürzt und mehr Privatunterricht eingerichtet werden. So kommt auch der Schüler Ludovico Marsilli zu ihm und weiht Galilei in die Erfindung des Fernrohrs ein, die er später für sich beansprucht und dem Kurator in Venedig vorführt, um sein Gehalt zu erhöhen. Zusammen mit seinem Freund und den Fernrohren kann er das kopernikanische Bild als gültig nachweisen. Die Entdeckungen werden aber durch das Auffliegen seines Schwindels mit den holländischen Fernrohren überdeckt. Die Familie zieht nach Florenz, damit Galilei weiter seinen Forschungen nachgehen kann. Selbst als Jahre später die Pest ausbricht und er seine Tochter fortschickt, bleibt er, um seine Theorie zu verschärfen. Andrea bleibt treu an seiner Seite. Doch das alles nützt nichts, denn er gerät immer wieder in Konflikt mit der Kirche. Zwar gibt es andere Astronomen, die in der Gunst der Kirche stehen und seine Theorie bezeugen können, trotzdem wird ihm mit der Inquisition gedroht, sollte er damit unter die Leute gehen. Es gibt einen Papst-Wechsel, der ihm große Hoffnungen macht. Er hofft, seine Schriften veröffentlichen zu können. Außerdem erfreut er sich wachsender Beliebtheit im Volk. Doch als er vor den Papst tritt, wird diesem erzählt, dass es sich um ein ketzerisches Werk handle, weswegen die Schrift ganz verboten und Galilei in den Kerker gesperrt wird. Er kann sein Leben und seine Freiheit nur retten, wenn er verkündet, dass seine Theorie falsch ist und er sich zurückzieht. Galilei geht darauf ein, denn er liebt das luxuriöse Leben. Seine Schüler sind enttäuscht. Von nun an lehrt er nur noch das ptolemäische Weltbild. lässt seine Schriften aber Jahre später durch Andrea nach Holland schmuggeln. 


"Ich glaube an den Menschen, und daß heißt, ich glaube an seine Vernunft! Ohne diesen Glauben würde ich nicht die Kraft haben, am Morgen aus meinem Bett aufzustehen.
(S.34) 



Man muss kein Physiker sein, um die historische und gesellschaftliche Bedeutung der Geschichte bemessen zu können. Man muss kein Historiker sein, um dem Geschriebenen Glauben zu schenken. Man muss kein Literaturwissenschaftler sein, um zu erkennen, dass es kein klassisches Drama ist.
Ich kann allen Deutschlehrer*innen da draußen nur ans Herz legen, dieses Werk in den Unterricht aufzunehmen, denn es bietet so viele Möglichkeiten. Zum Einen kann es einem klassischen Drama gegenübergestellt werden, um die Merkmale des epischen Dramas nach Brecht herauszuarbeiten. Da dieser sich reichlich an bildlicher und metaphorischer Sprache bedient, kann es auch als Fundgrube stilistischer Mittel und ihrer Funktionen herhalten. Zum anderen lohnt sich eine Zusammenarbeit mit dem Physikunterricht. Ein Umriss der Geschichte der Physik und Weltbilder ist in Verbindung mit dieser Lektüre unumgänglich. Dazu laden nicht nur der grundlegende Plot, sondern auch die zahlreichen Verweise auf die Nature of Science ein. Darüber muss diskutiert werden. Es gibt auch weniger wichtige Bezüge zu Horaz und Lorenzo di Medici, was ich persönlich interessant fand, aber für die Schule eher uninteressant ist.
Was mir an diesem literarischen Werk so besonders gut gefällt, ist seine Kompaktheit. Dieselbe Geschichte hätte man auch im biographischen Stil in einem dicken Wälzer verpacken können, aber so ist es geschmeidiger und es wird sogleich die Spreu vom Weizen getrennt. Der Charakter Galileis wird meines Wissens nach gut dargestellt und für genug Drama sorgt der gute Herr mit seinem Leben ja schon selbst.
Trotzdem sollte man sich unbedingt eine kritische Brille beim Lesen aufsetzen und sich nicht zu schade sein, das ein oder andere nachzuschlagen und zu recherchieren. Denn dafür sind die vielen bissigen Kommentare und ironischen Dialoge da. Es geht um die Kontroverse der Aufgabe der Wissenschaft.


"Wenn es keinen Gott gäbe, müsste man ihn erfinden.
(S.70)




Ehrlich, knackig, nachhallend!


"Zum Teufel mit der Perle, ich ziehe die gesunde Auster vor."
(S.77)





"Also werden wir an die Beobachtung der Sonne herangehen mit dem unerbittlichen Entschluß, den Stillstand der Erde nachzuweisen!
(S.93)







"Aber können wir uns der Menge verweigern und doch Wissenschaftler bleiben?"  
(S.125)

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"Sie sind die Sieger. Und es gibt kein wissenschaftliches Werk, das nur ein Mann schreiben kann.
(S.123)

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"Mit dem Mann auf der Straße sagten wir: Er wird sterben, aber er wird nie widerrufen. - Sie kamen zurück: Ich habe widerrufen, aber ich werde leben. - Ihre Hände sind befleckt, sagten wir. - Sie sagen: Besser befleckt als leer.
(S.122)

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"Wer sonst wünscht zu erfahren, was die Sachen der Dinge sind? Die das Brot nur auf dem Tische sehen, wollen nicht wissen, wie es gebacken wurde; das Pack dankt lieber Gott als dem Bäcker. Aber die das Brot machen, werden verstehen, daß nichts sich bewegt, was nicht bewegt wird.
(S.92)

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"Fünfzigmal wiegt der Mann seine Eisstückchen ab, aber wenn es zu etwas kommt, was in seinen Kram paßt, glaubt er es blind!
(S.89)

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"Vater sagt: Die Theologen haben ihr Glockenläuten, und die Physiker haben ihr Lachen."
(S.86)

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"Eine Hauptursache der Armut in den Wissenschaften ist meist eingebildeter Reichtum."
(S.85)

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"Zum Teufel, ich sehe die göttliche Geduld Ihrer Leute, aber wo ist ihr göttlicher Zorn?
(S.79)

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"Hunger ist eben NIchtsgegessenhaben, keine Kraftprobe; Anstrengung ist eben Sichbücken und Schleppen, kein Verdienst.
(S.76)

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"Mathematik ist eine kalte Hausgefährtin, nicht?" 
(S.71)

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"Vertrauen wird dadurch erschöpft, daß es in Anspruch genommen wird.

(S.70)

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"Und das gemäß der Anschauung der Kirche, daß wir nicht wissen können, aber forschen mögen.

(S.70)

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"Wer auf großem Fuß lebt, dem bezahlen sie auch den größten Stiefel!

(S.65)


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"Wie kann es Leute geben, so pervers, daß sie diesen Sklaven ihrer Rechentafeln Glauben schenken!

(S.61)


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"Ich würde meinen, als Wissenschaftler haben wir uns nicht zu fragen, wohin die Wahrheit uns führen mag.

(S.49)

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"Von wem sagt man, daß er sehenden Auges geht? Von dem, der ins Verderben geht.

(S.38)

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"Ein Mann wie ich kann nur auf dem Bauch kriechend in eine halbwegs würdige Stellung kommen.

(S.38)

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"Ich frage: was ist besser, eine Mondfinsternis drei Tage später als im Kalender steht zu erleben oder die ewige Seligkeit niemals?
(S.60) 

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"Und Vorginia braucht wirklich bald eine Aussteuer, sie ist nicht intelligent. Und dann, ich kaufe gern Bücher, nicht nur über Physik, und ich esse gern anständig. Bei gutem Essen fällt mir am meisten ein.
(S.31) 

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"Heute ist der 10. Januar 1610. Die Menschheit trägt in ihr Journal ein: Himmel abgeschafft.
(S.28) 

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"Und ich glaube, ich fange an, etwas von Wissenschaft zu verstehen.
(S.26) 

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"Den Gestirnen gegenüber sind wir wie Würmer mit trüben Augen, die nur ganz wenig sehen.
(S.21) 

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"Keine Rose ohne Dornen, keine Fürsten ohne Mönche, Herr Galilei!
(S.18) 

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"Ich lehre und lehre, und wann soll ich lernen?
(S.16) 

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"Und das ist einiges wert für Sie, der Sie Astronom sind, also in einem Fach tätig, wo seit geraumer Zeit die Lehre der Kirche nicht mehr mit dem schuldigen Respekt geachtet wird!
(S.17) 

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"Alle Welt nimmt ihren Wein heutzutage mit Wissenschaft, wissen Sie." 
(S.15) 

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"Mit Beispielen kann man es immer schaffen, wenn man schlau ist. Nur, ich kann meine Mutter nicht in einem Stuhl herumschleppen wie Sie mich. Da sehen Sie, was das für ein schlechtes Beispiel ist. Und was ist, wenn der Apfel also die Erde ist? Dann ist gar nichts.
(S.13) 

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"Eine Menschheit, stolpernd in diesem tausendjährigen Perlmutterdunst von Aberglauben und alten Wörtern, zu unwissend, ihre eigenen Kräfte voll zu entfalten, wird nicht fähig sein, die Kräfte der Natur zu entfalten, die ihr enthüllt. Wofür arbeitet ihr? Ich halte dafür, daß [sic!] das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern."  

(S.125) 

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