Effi Briest [Rezension]


"Von Anfang an war mir's so, als ob sie ihn mehr schätze als liebe. Und das ist in meinen Augen ein schlimm Ding. Liebe hält auch nicht immer vor, aber Schätzung gewiss nicht." 



Titel: Effi Briest
Autor: Theodor Fontane
Verlag: Anaconda
Seiten: 271
Erscheinungsjahr: 2005(1894)
ISBN: 3-938484-18-7
Genre: Klassiker
Art: fester Einband

"Effi, du bist ein entzückendes, liebes Geschöpf. Du weißt gar nicht, wie sehr ich's finde und wie gern ich dir in jedem Augenblick zeigen möchte, dass ich's finde.
(S.52) 

 


"In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu HohenCremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseite hin ein rechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten erst auf einen weiß und grün quadrierten Fliesengang und dann über diesen hinaus auf ein großes, in seiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an seinem Rande mit Canna indica und Rhabarberstauden besetztes Rondell warf. 





Effi ist noch sehr jung (16), als der über zwanzig Jahre ältere Baron Instetten ihr einen Antrag macht. Das freut die Eltern Briest, vor allem die Mutter, zu der Effi eine sehr enge, freundschaftliche Beziehung pflegt. Sie hatte damals selbst eine Vergangenheit mit dem Herrn. 
Nach reiflicher Überlegung der Vorzüge als Gattin Instettens willigt das aufgeweckte Mädchen der Heirat ein. Wenn auch mit gemischten Gefühlen, Zur Hochzeitsreise geht es in den Süden bis nach Italien und schließlich in ihre neue Heimat: Ins pommersche Kessin am Meer. Sehr schnell bekommt Effi Heimweh nach Hohen-Cremmen. Besonders als sie das Gefühl nicht loswird, dass es in ihrem Haus spukt und sie ihrem Mann nicht so recht nahe kommt.
Zum Glück findet sie in dem Apotheker Grieshübler einen Freund und kann sich durch abendliche Gesellschaften sowie den Hund Rolo ablenken. Bald schon kündigt sich Nachwuchs an: Freudigerweise ergibt es sich, dass das Kindermädchen Roswitha bei ihnen einziehen kann. Sie soll ihrer Herrin für den Rest ihres Lebens zur Seite stehen.
Auch das das Ehepaar Crampas macht Einzug in Kessin. Der Herr schafft es, die Gunst der jungen Frau Landrätin zu gewinnen, sodass es dieser zu seiner Zeit gelegen kommt, dass ihr Mann eine höhere Stelle in Berlin geboten bekommt und sie von Crampas getrennt wird. Sie weiß, dass sie ihm, obwohl er so selten für sie da ist, unrecht getan hat. In Berlin baut sich die Familie ein neues Leben auf, bis Jahre später ein Schatten über sie fällt.: Die Vergangenheit holt sie ein...

"Ja, der Herr Landrat und Sie, meine gnädigste Frau, da sind, das bitte ich sagen zu dürfen, zwei liebe Menschen zueinander gekommen. Denn wie Ihr Herr Gemahl ist, das weiß ich, und wie Sie sind, meine gnädigste Frau, das sehe ich.
(S.58) 



Während die ersten Seiten noch etwas anstrengend waren (sehr typischer Schreibstil für den bürgerlichen Realismus), habe ich mich dann doch schnell daran gewöhnt und die Detailverliebtheit schätzen gelernt. Ich habe mich auch in den ehrlichen und wertenden Ton (voller Menschenkenntnis) des Autors verliebt. 
Das Schicksal der Protagonistin Effi ist kein Geheimnis und daraus macht auch der Erzähler, der sich meistens ziemlich neutral gibt, keinen Hehl. Doch ich bin über ein oder zwei Stellen gestolpert, in denen er sich als Erzähler zu erkennen gibt und menschliche Züge, Konturen annimmt. So schnell verschwindet er aber auch danach wieder und versteckt sich mit seiner vermeintlichen Personalität hinter Effi. Nur manchmal habe ich gemerkt, dass er mehr weiß als er vorgibt. Zwischendurch ist er tatsächlich dort, wo Effi nicht ist. 

Effi ist eine wirklich bemerkenswerte und interessante Person. Wäre sie das nicht, wäre wohl auch die Roman-Idee dahin. Aber zum Glück ist sie so vielseitig wie sich hier zeigt: Warmherzig, intelligent, quirlig. Und auch von Fehlern kann sie sich nicht lossagen, was sie umso sympathischer macht: Eitel, verwöhnt, direkt und schlagfertig verströmt sie ihren ganz eigenen Charme!

Und gerade durch Effi und die schönen Dialoge, weil sie so menschlich sind, konnte mich das Buch auf viele verschiedenen Arten berühren: Mich schmunzeln, grübeln oder lächeln lassen. Manchmal hat es mich wegen der großen Realitätsnähe und dem, was passiert ist, auch traurig gestimmt. 
Und tatsächlich lief mir hin und wieder auch ein Schauer über den Rücken: Wie schon erwähnt ist dieser Roman in manchen Beziehungen Vorzeigeexemplar für die Epoche des Realismus: So auch für das Verfahren der Verklärung. Spukt es in dem Haus? Gibt es Geister der Vergangenheit? Will ihr Mann Effi das Fürchten lehren? Und was hat es mit den Chinesen auf sich?
Tja, die Chinesen... Da war ich etwas aus dem Konzept gebracht. So offensichtlicher Rassismus, dachte ich im ersten Moment. Und ja, das ist es auf jeden Fall. Auf der anderen Seite muss die Zeit bedacht werden und der begrenzte Bewegungsradius der Figuren in diesem Buch. Was der Realist nicht kennt, dem traut er nicht... Ganz ehrlich, ich musste schon darüber schmunzeln. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Fontane das nicht ironisch gemeint hat, aber dafür weiß ich zu wenig über ihn. 

Auf jeden Fall finde ich, dass das Werk zurecht in den Deutschunterricht gehört, da an ihm viele literarische Phänomene, aber auch zeitgenössische Sitten, diskutiert werden können. Ich denke aber, dass man den Chinesen nicht so stehen lassen kann!


"'Die arme Majorin ist unglücklich, die Kruse ist unheimlich'  
'Und da bist du doch mehr für das Unglückliche?' 

'Ganz entschieden.'
'Nun höre, das ist Geschmacksache. Man merkt, dass du noch nicht unglücklich warst.'" 

(S.134f.)



Am Ende kamen mir die Tränen. Ein Buch, das einen im Leben begleitet und nicht mehr loslässt!

"'Entweder', fuhr Roswitha fort, 'war es eine unglückliche Liebe' (die Kruse nickte wieder) 'oder es kann auch eine glückliche gewesen sein, und der Chinese konnte es bloß nicht aushalten, dass es alles mit einem Mal so wieder vorbei sein sollte. Denn die Chinesen sind doch auch Menschen, und es wird wohl alles ebenso mit ihnen sein wie mit uns.'"
(S.160)





"Weißt du noch, wie's damals war, als der Chinese spukte? Das waren glückliche Zeiten.
(S.240)






"Kavaliere kommen nicht zu spät, aber noch weniger zu früh."  
(S.16)

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"Wo die Leute den Morgen verschlafen, da gibt es den ganzen Tag keine Ordnung mehr.
(S.49)

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"Da drüben liegt Bornholm und dahinter Wisby, wovon mir Jahnke vor Zeiten immer Wunderdinge vorschwärmte. Wisby ging ihm fast noch über Lübeck und Wullenweber. Und hinter Wisby kommt Stockholm, wo das Stockholmer Blutbad war, und dann kommen die großen Ströme und dann das Nordkap, und dann die Mitternachtssonne.
(S.100)

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"Aber er hatte lange genug gelebt, um zu wissen, dass alle Zeichen trügen und dass wir in unsrer Eifersucht, trotz ihrer hundert Augen, oft noch mehr in die Irre gehen als in der Blindheit unseres Vertrauens.
(S.168)

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"Das Leben wäre nicht des Lebens wert, wenn das alles gelten sollte, was zufällig gilt. Alles Beste liegt jenseits davon. Lerne dich daran zu freuen.
(S.213)

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"Also noch einmal, nichts von Hass oder dergleichen, und um eines Glückes willen, das mir genommen wurde, mag ich nicht Blut an den Händen haben; aber jenes, wenn Sie wollen, uns tyrannisierende Gesellschaftsetwas, das fragt nicht nach Charme und nicht nach Liebe und nicht nach Verjährung. Ich habe keine Wahl. ich muss.
(S.216f.)

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"Innstetten gedachte des Tages, als er, mit Effi von der Hochzeitsreise zurückkehrend, hier am Ufer der Kessine hin in offenem Wagen gefahren war- ein grauer Novembertag damals, aber er selber froh im Herzen; nun hatte sich's verkehrt: Das Licht lag draußen, und der Novembertag war in ihm.
(S.218f.)

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