Der Vorleser [Rezension]
Titel: Der Vorleser Autor: Bernhard Schlink Verlag: Diogenes Seiten: 207 Erscheinungsjahr: 1997(1995) Übersetzung: Aus dem Amerikanischen von Anja Malich ISBN: 978-3-257-22953-0 Genre: Klassiker, Kritische Unterhaltung Art: flexiber Einband
Niemand weiß davon. Nach oder vor der Schule treffen sie sich, fahren zusammen in den Urlaub. Sie liebt es, wenn er ihr vorliest und sie besteht darauf, dass er die Schule nicht vernachlässigt. Doch von Harmonie ist nicht die Rede: Immer wieder stehen ihnen unausgesprochene Gefühle im Weg, z.B. Eifersucht. Und schließlich ist Hanna nicht mehr da. Erst viel später, im Rahmen von Michaels Jurastudium, sehen sich die beiden in einer Verhandlung ehemaliger KZ-Aufseherinnen im Gericht wieder... "Man schätzt das Alter schwer, das man noch nicht hinter sich hat oder auf sich zukommen sieht." Ich habe schon oft Leute über das Buch reden hören, allen voran damalige Schulkameraden, die das Buch lesen "mussten". Das Feedback war nicht immer positiv. Worum es in seiner Gänze geht, war mir nicht klar und habe ich erst jetzt verstanden. Ich verstehe die zwiespaltigen Meinungen, denn das Buch schockiert wirklich. Es zwingt einen zu Gedanken, die man in der Art vielleicht noch nicht hatte, aus der eigenen Komfortzone hinaus. Wie hätte ich mich verhalten? Sind wir alle schuldig? Gibt es eine Kollektivschuld? Kennt Liebe Grenzen? Kann Liebe, wahre Liebe, jemals falsch sein? Der Erzähler, Michael Berg, lässt uns an seinen Gedanken, wohlgemerkt zehn Jahre später, teilhaben und so oft fühlte ich mich ertappt: Es mögen nur kleine, unbedeutende Gegebenheiten aus dem Alltag sein, aber ich wusste meistens sofort, was er meinte, welches unbeschreibbare Gefühl er versucht in Worte zu fassen. Wir teilen mit Michael und Hanna viele intime Momente, aber durch den zeitlichen Abstand der Niederschrift wird Distanz geschaffen und außerdem werden die Szenen nicht wie ein Ablauf erzählt, sondern es werden eher bedeutende Details in den Raum geworfen, die man nicht mehr vollständig zusammenbasteln kann. Damit war ich mehr als zufrieden, denn wahrscheinlich gehöre ich wie ein Großteil der restlichen Leser zu der Fraktion, die die Beziehung ein wenig befremdlich findet und nicht nachvollziehen kann. Hat sich dieses Gefühl mit der Zeit gelegt? Nun ja, unser Protagonist geht sehr offen mit seinen Gefühlen um und wirkt sehr reif für sein Alter, schon mit 15. Deswegen war es nach den ersten Zusammentreffen der beiden nur noch eine ungewohnte Situation, aber nicht mehr befremdlich. Hanna wirkte aber schon von Anfang an nicht sympathisch, was dahingehend gedeutet werden kann, dass zum einen die sexuelle Anziehung im Vordergrund steht und auf der anderen Seite erst rückblickend von dem Kennenlernen berichtet wird, wenn Michael Hanna selbst nicht mehr nahe steht. Als die NS-Thematik hinzukam, habe ich mir zuerst gedacht, es sei zu viel, weil die Beziehung an sich schon was zu kauen ist. Aber dann dachte ich mir, dass man im Leben ja auch meistens mehr als ein Gepäckstück mit sich rumträgt und es Hanna nur realer macht, wenn sie eine Geschichte hat. Mir gefällt ganz besonders, dass die Geschichte nicht mit Bilderbuch-Charakteren herausstechen möchte. Das Leben der beiden ist nicht perfekt, dafür aber sehr realistisch. Es könnte so wirklich passiert sein, weswegen ich das auch erstmal nachgelesen habe. Das ist aber offenbar nicht der Fall. Was mich aber etwas gestört hat, war, dass so viele rhetorische Fragen in den Raum geworfen werden und zu sehr, meiner Meinung nach, für ein kollektives Schuldgefühl plädiert wird. Ich bin überzeugt davon, dass sich das Buch sehr gut als Schullektüre eignet, allerdings lenkt die Thematik im Fach Deutsch vielleicht zu sehr von literarischen Gesichtspunkten ab, da die KZ-Thematik schon genug Diskussionsstoff bietet. Ich schlage vor, dass man es in Partnerschaft mit dem Geschichtsunterricht behandelt. Denn wenn man die Lektüre schon mit den Schülern durchnimmt, sollte man sie nicht allein stehen lassen. Das Buch verdient es, ordentlich auseinadergenommen zu werden. "Und wenn ich nicht schuldig war, weil der Verrat einer Verbrecherin nicht schuldig machen kann, war ich schuldig, weil ich eine Verbrecherin geliebt hatte ."
Kurzweilig, spannend und nachdenklich. Neuer Blickwinkel, der tief blicken lässt!
"Geht das allen so? Ich fühlte mich, als ich jung war, immer entweder zu sicher oder zu unsicher." (S.64) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ "Es ist ein philosophisches Problem, aber die Philosophie kümmert sich nicht um die Kinder. Sie hat sie der Pädagogik überlassen, wo sie schlecht aufgehoben sind. Die Philosophie hat die Kinder vergessen." (S.136) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ "Beidem wollte ich mich stellen: Dem Verstehen und dem Verurteilen. Aber beides ging nicht." (S.152) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ "Weil die Wahrheit dessen, was man redet, das ist, was man tut, kann man das Reden auch lassen." (S.166) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ |
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