Neunzehn Minuten [Rezension]


" Wer hat das Recht, über einen anderen Menschen zu urteilen?"



Eckdaten


Titel: Neunzehn Minuten
Autor: Jodi Picoult
Verlag: Piper
Seiten: 479
Erscheinungsjahr: 2009 (2007)
ISBN: 978-3-492-25398-7
Übersetzung: Aus dem Amerikanischen von U. Wasel und K. Timmermann
Genre: Thriller
Art: flexibler Einband





" In 19 Minuten kann man den Rasen vor dem Haus mähen, sich die Haare färben, Brötchen backen, sich vom Zahnarzt eine Füllung machen lassen oder die Wäsche für eine fünfköpfige Familie zusammenlegen.
Neunzehn Minuten dauert die Fahrt mit dem Auto von der Grenze Vermonts nach Sterling in New Hampshire. In neunzehn Minuten kann man einem Kind eine Gutenachtgeschichte vorlesen oder einen Ölwechsel machen lassen. Man kann eine Meile gehen. Man kann einen Saum nähen.
In 19 Minuten kann man die Welt anhalten oder einfach von ihr abspringen.
In 19 Minuten kann man Rache nehmen.
(S. 9)






Inhalt


Es ist der 6. März 2007. An der Sterling High School hat ein normaler Schultag begonnen, aber er soll nicht normal enden... 
Zwischen der zweiten und dritten Stunde gibt es eine Explosion auf dem Parkplatz. Danach ertönen Schüsse... Schüler schreien und versuchen zu verstehen was los ist.. Die einen sind im Unterricht und klammern sich an die Anweisungen der Lehrer, andere haben eine Freistunde und sitzen in der Cafeteria, weitere auf der Toilette oder sind fast auf dem Heimweg...

Aber einer von ihnen trägt Schusswaffen mit sich rum und wandelt durch die Schule. Er ist der Grund dafür, dass Horden von Schülern um ihr Leben rennen, jedoch nicht wissen, wohin. Er tötet 11 und verletzt weitere 19. Es handelt sich um Peter Houghton und er braucht dafür nur 19 Minuten...





" Wenn man sich auf das Wesentliche konzentriert, sind Menschen erstaunlich ähnlich, findest du nicht?
(S. 41)


Meine Meinung


Lange habe ich nicht mehr so ein bewegendes Buch gelesen! Es ist nicht nur, die erschreckende Tat an sich, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Nein, man weiß ja wer der Täter ist. Aber man erfährt erst im Laufe des Buches, was der Grund dafür ist.
Es gibt viele Rückblenden und innerhalb eines Kapitels wird noch dazu aus der Sicht der einzelnen Figuren gesprochen. Es ist wie ein Puzzle, dass man am Ende hoffentlich zusammenfügen kann.

Zu Anfang jedes Kapitels gibt es jeweils einen Abschnitt, der in der aus der Innensicht geschrieben ist, während das weitere von einem auktorialen oder personalen Erzähler zeugt. In diesem Abschnitt scheint jemand versuchen, über das Geschehene mit Weisheiten zu richten. Es gilt herauszufinden, wer sich dahinter verbirgt...

Die Frage, die mich als Leser während des gesamten Buches begleitet und auch durch die Handlung immer wieder neu aufgeworfen wird, ist, wem man die größte Schuld zusprechen kann. Denn so einfach, wie es beim ersten Anblick scheint, ist es ja bekanntlich in der Realität nur selten. Es ist sogar leicht, Mitleid mit Peter zu haben, aber liest dazu das Buch erstmal selbst...

Der Schreibstil geht einem unter die Haut. Es kommen in der Vergangenheit so rührende Szenen vor und im Laufe der Zeit werden sie immer tragischer...
Ich konnte so viele Zitate rausschreiben, dass ich hier leider wohl nicht alle unterbringen kann... Das sagt ja schon aus, wie poetisch dieser Thriller auf seine Art ist.

Eigentlich ist es viel mehr als nur ein Thriller. (Tja, eigentlich ist jedes Buch mehr als nur ein Buch und geht meistens über ein Genre hinaus). Es geht um Verantwortungsdiffusion, Gruppenpsychologie, Erwachsenwerden, Karriere vs. Familie und natürlich Ehrlichkeit, Selbstgerechtigkeit. Wichtige Themen, die uns alle angehen. Denn wir alle waren mal in der Schule. Zum Glück gab es an unserer höchstwahrscheinlich keinen Amoklauf, aber die anderen schrecklichen Phänomene, die hier angesprochen und so oft verschwiegen werden, bekommen hier eine Stimme und durch die Leser Gehör!
Wir können uns so gut hineinversetzen, weil wir alle mal dazugehören wollten.






" Niemand will das wahrhaben, aber es wird immer wieder Schlimmes geschehen. Vielleicht deshalb, weil alles mit allem zusammenhängt und irgendwer vor langer Zeit als Erster etwas Schlimmes getan hat, was dazu führte, dass ein anderer seinerseits etwas Schlimmes tat und so weiter.
Aber vielleicht geschehen schlimme Dinge ja auch deshalb, damit wir uns daran erinnern, wie das Gute aussehen sollte.
(S. 44)


Fazit

So unfassbar tragisch! So viele Perspektiven, die einem als Leser geboten werden und in jede kann man sich hineinversetzen, aber am Ende muss doch irgendjemand schuldig sein...



" Du darfst gegen die Regeln nicht verstoßen, auch nicht, wenn es so aussiehst, als würden das alle anderen machen. Denn wenn du das machst- wenn wir alle das machen- dann wird die Welt ganz schrecklich. Eine Welt, in der Kinder auf dem Schulhof verprügelt werden. Statt das Beste zu tun, müssen wir uns manchmal entscheiden, das Richtige zu tun.
(S. 76)



Wertung






" Eine Waffe war im Grunde nichts, wenn sie keiner in den Händen hielt.
(S. 96)





" Sie hatte geglaubt, der Tod könnte eine Antwort sein, weil sie zu unreif gewesen war, um zu erkennen, dass er die größte Frage überhaupt war.
(S.122)



"Jeder wusste, wenn du Realität durch Erwartung dividierst, ergab sich ein Glücksquotient. Aber wenn du die Gleichung umkehrtest- Erwartung dividiert durch Realität-, kam nicht das Gegenteil von Glück heraus, sondern, wie Lewis jetzt begriff, Hoffnung.
(S.140)



" Alle Jungs und Mädchen wollen beliebt sein, aber keiner von uns würde das zugeben. Wenn wir es zugeben würden, wären wir schon weniger cool. Um richtig beliebt zu sein, muss es so aussehen, als wärst du es ganz einfach, doch die Wahrheit ist, du machst dich beliebt.
(S.251)



" Jemand stirbt nicht in dem Augenblick, wo sein Leben aufhört, wissen Sie?
(S.322)



" Schadenfreude ist das Vergnügen am Leiden anderer, aber die eigentliche Frage ist doch, warum bereitet uns das Freude? Ich glaube, zum Teil aus Selbstschutz, zum Teil aber auch, weil eine Gruppe sich immer mehr als Gruppe fühlt, wenn sie einen gemeinsamen Feind hat.
(S.405)



" Ich denke, ein Mensch sollte sein wie eine DVD. Du kannst dir die Version anschauen, die jeder sieht, und den Director`s Cut - die vom Regisseur bevorzugte Fassung, ehe die Welt sich dran zu schaffen machte.
Wahrscheinlich gibt es ein Hauptmenü, damit du gleich an den besonders guten Stellen einsteigen kannst und die schlechten nicht noch einmal durchleben musst. Du kannst dein Leben an der Anzahl der Szenen messen, die du überlebt hast, oder an den Minuten, die du darin festgesessen hast.
Aber vermutlich ist das Leben ja doch eher wie so ein ödes Band aus einer Überwachungskamera. Grobkörnig und unscharf, ganz gleich, wie angestrengt du darauf starrst. Und mit einer Endlosschleife: immer dasselbe, wieder und wieder.
(S.460)






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