Die Pest [Rezension]

 


"Solange jeder Arzt nur von zwei oder drei Fällen wusste, war es niemandem in den Sinn gekommen, etwas zu unternehmen. Aber schließlich genügte es, dass einer ans Zusammenzählen dachte. Das Ergebnis war beängstigend. In kaum ein paar Tagen vervielfältigten sich die tödlich verlaufenden Fälle, und denen, die sich mit dieser merkwürdigen Krankheit befassten, wurde es ganz klar, dass es sich um eine regelrechte Epidemie handelte." 



Titel: Die Pest
Autor: Albert Camus
Verlag: Rowohlt
Seiten: 360
Erscheinungsjahr: 2012(1962)
ISBN: 978-3-499-22500-0
Genre: Klassiker
Art: flexibler Einband

"Man kann sagen, dass von diesem Augenblick an die Pest uns alle betraf. Bis jetzt war jeder Bürger trotz der Überraschung und der Besorgnis, die diese merkwürdigen Ereignisse mit sich brachten, an seinem gewohnten Platz seiner gewohnten Arbeit nachgegangen, so gut er konnte. Und das musste zweifellos so bleiben. Aber als nun die Tore geschlossen waren, merkten sie, dass sie alle, auch der Erzähler, in der gleichen Falle saßen und dass sie sich damit abfinden mussten. So geschah es zum Beispiel, dass ein so urpersönliches Gefühl wie das der Trennung von einem geliebten Menschen plötzlich, und schon in den ersten Wochen, ein ganzes Volk erfüllte und zusammen mit der Angst das größte Leid dieser langen Zeit der Verbannung bildete.

"Die seltsamen Ereignisse, die Gegenstand dieser Chronik sind, haben sich 194' in Oran zugetragen. 





Camus beschreibt das Ausbrechen einer Epidemie in der französischen Stadt Oran in den 1940er Jahren. Es gibt immer mehr Krankheitsfälle, die sich der Arzt Rieux nicht erklären kann. Gleichzeitig tauchen immer mehr Ratten auf. Bald sterben auch die ersten Menschen. Es werden Maßnahmen ergriffen, wie die Abriegelung des Ortes, sodass die Einwohner von der Außenwelt abgeschieden sind. So auch ein Journalist von außerhalb, der nun eingesperrt nichts lieber möchte als zurück zu seiner Frau.
Die Krankheit, schließlich als Pest erkannt, macht vor niemandem Halt: Egal, ob Kind, Frau, Greis, arm oder reich. Sie will den Tod.

"So brachte die Pest unseren Mitbürgern als erstes die Verbannung. […] Denn das war wirklich das Gefühl der Verbannung, jene Leere, die wir unablässig in uns trugen, diese besondere innere Unruhe, der unvernünftige Wunsch, in die Vergangenheit zurückzukehren oder im Gegenteil die Zeit vorwärts zu treiben ,diese brennenden Pfeile der Erinnerung.



Ich fand Epidemien wie die Pest schon immer spannend, aber das ich ausgerechnet dieses Jahr nach dem Buch gegriffen habe, ist bestimmt kein Zufall.  
Und das ist auch der hervorstechendste Charakterzug des Werks: Die Zeitlosigkeit der Erzählung. Ob Camus daran gedacht hat, dass es nicht lange dauert, bis man das Buch wieder auf die Realität anwenden kann? 

Etwas anderes hat auch meine Aufmerksamkeit erweckt: Die Art der Erzählung. Es fällt mir sehr schwer, diese zu klassifizieren. Soll sie den Schein einer wahren Begebenheit kreiren? Oder eher im Gegenteil einen literarischen Meilenstein schaffen? Das war beim Lesen nicht klar, aber genau das macht es so besonders. In einem vorgestellten Kapitel spricht der Erzähler über sich in der dritten Person, offenbart aber seine Identität noch nicht, mit den Worten, dass man sie noch früh genug erfahren werde. Das erhöht die Spannung und verwebt seine eigene Identität gleichzeitig mit der Geschichte. 
Ab dem ersten richtigen Kapitel nimmt er dagegen eine weitestgehend neutrale Rolle ein. D.h., dass er bis auf ein paar dezente Wertungen hier und da über seine eigene Funktion nicht viele Wörter verliert. 

Manchmal habe ich den Schreibstil als erstaunlich nüchtern wahrgenommen. Beinahe genervt wird von den Rattenplagen, den Sterbenden, Überlegenden und Kranken berichtet. Als wäre alle Hoffnung verloren und als hätte der Erzähler selbst alle Lebensenergie verloren. Das sorgt natürlich nicht für gute Gefühle beim Leser, sondern vermittelt diesem gerade die richtige Note an authentischer Atmosphäre.

Da ich es als Hörbuch gehört habe, höre ich immer noch wie ein Phantom die Stimme des Sprechers im Kopf. Er hat es großartig gemacht. Die Stimme ist wie gemacht für Erzählungen wie diese und hat mich sehr an die Vertonung von "Der goldene Handschuh" erinnert. Wahrscheinlich derselbe Sprecher? Und dieser Vergleich zeigt auch die Ähnlichkeit der beiden Werke an sich. Sie sind beide düster und zeigen Missstände an. Haben außergewöhnliche Erzähler. Das sollte als Orientierung dienen.
Wenn ich mich aber richtig erinnere, dann bietet "Die Pest" viel mehr Auslegungen und gesellschaftliche Relevanz. Die vielen Zitate hier sollen das zeigen. Und genau deswegen ist das visuelle Lesen von Erzählungen wie dieser auch viel ergiebiger. Man möchte sich Anmerkungen machen und Dinge reinschreiben. Das ging so leider nicht. Deswegen werde ich es bestimmt nochmal lesen.

Es ist jetzt schon einen Monat oder so her, dass ich das Buch gehört habe. Zeitgleich habe ich "Léon und Louise" gelesen, somit zwei französische Kriegserzählungen parallel. Doch unterschiedlicher hätten sie nicht sein können. Komplett verschiedene Perspektiven. 


In dieser äußersten Einsamkeit konnte niemand auf die Hilfe des Nachbarn zählen, und jeder blieb mit seinen Gedanken allein. Wenn einer von uns zufällig versuchte, aus sich herauszugehen und etwas von seinen Gefühlen zu verraten, so war die Antwort, die er erhielt, fast stets verletzend, gleichgültig, wie immer sie ausfiel.



Äußerst aktuell oder zeitlos?


"Man zählt die Toten, die Lebenden, und der Spaß ist zu Ende. Aber diese Schweinerei von einer Krankheit! Sogar die, die sie nicht haben, tragen sie im Herzen."





"Rieux richtete sich auf und sagte mit fester Stimme […], man brauche sich nicht zu schämen, wenn man das Glück vorziehe. ‚Ja‘, sagte, Rambert, ‚aber man kann sich schämen, allein glücklich zu sein.'








"Die Zeitungen, die so viel über Ratten geschrieben hatten, schwiegen sich aus. Die Ratten sterben eben auf der Straße und die Menschen im Zimmer. Und die Zeitungen befassen sich nur mit der Straße."  

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"Zum Schluss, antwortete er, und das ist das Ende von Tarrous Tagebuch, dass es immer eine Stunde des Tages oder der Nacht gebe, da ein Mensch feige sei, und dass er nur vor dieser Stunde Angst habe.

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"Der Arzt wusste nicht, ob Tarrou schließlich den Frieden gefunden hatte, aber er glaubte zu wissen, wenigstens in diesem Augenblick, dass für ihn selbst ein Friede niemals mehr möglich sein werde, so wie es für die Mutter, die ihren Sohn verloren hat, oder für den Mann, der seinen Freund begräbt, keinen Waffenstillstand gibt.

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"Wenn es etwas gibt, das man immer ersehnen und manchmal auch erhalten kann, so ist es die liebevolle Verbundenheit mit einem Menschen. Das wussten sie jetzt.

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"Er wollte nicht zu denen gehören, die schweigen, er wollte vielmehr für diese Pestkranken Zeugnis ablegen und wenigstens ein Zeichen der Erinnerung an die ihnen zugefügte Ungerechtigkeit und Gewalt hinterlassen; er wollte schlicht schildern, was man in den Heimsuchungen lernen kann, nämlich dass es an den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten gibt.

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"Es kann übrigens gesagt werden, dass die eigentliche Herrschaft der Pest in dem Augenblick zu Ende war, da für die Bevölkerung ein Fünklein Hoffnung wieder möglich wurde."

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"‚Eigentlich‘, sagte Tarrou schlicht, ‚möchte ich gerne wissen, wie man ein Heiliger wird.‘ – ‚Aber Sie glauben ja nicht an Gott.‘- ‚Eben. Kann man ohne Gott ein Heiliger sein, das ist das einzig wirkliche Problem, das ich heute kenne.'"

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"Wissen Sie, ich fühle mich mit den Besiegten eher verbunden als mit den Heiligen. Ich glaube, dass ich am Heldentum und an der Heiligkeit keinen Geschmack finde. Was mich interessiert, ist, ein Mensch zu sein.

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