Die Zeit der Wunder [Rezension]


"Ich heiße Blaise Fortune und ich bin Bürger der Französischen Republik. Das ist die reine Wahrheit." 




Titel: Die Zeit der Wunder
Autor: Anne-Laure Bondoux
Verlag: Carlsen
Seiten: 189
Erscheinungsjahr: 2014 (2009)
ISBN: 978-3-551-31285-3
Genre: Kritische Unterhaltung, Jugendbuch
Art: flexibler Einband

"Er hat seine Hand auf deine Wange gelegt und gesagt, du seist Wunder. In dem Moment hast du die Augen geöffnet. Und ich hätte schwören können, dass du verstanden hast.
(S.23) 



Der siebenjährige Koumaïl ist ständig auf der Flucht vor den Schrecken des Kaukasus-Krieges. Sein einziger Lichtblick ist das Versprechen seiner Ziehmutter Gloria, ihn in seine eigentliche Heimat Frankreich zurückzubringen. Der Weg dorthin ist lang und gefährlich. Dank seiner nie endenden Hoffnung schafft Koumaïl es – doch dann ist Gloria plötzlich fort. Und mit ihr das Geheimnis seines Lebens, das er lüften muss ...

"Egal, wo man sich auf der Erde befindet, der Himmel ist immer derselbe.
(S.139) 



Das Cover macht nachdenklich und offenbart sogleich die Grundstimmung, die in diesem Buch herrschen wird. Das hat sich dann auch als wahr herausgestellt.


Der Kaukasus... Da klingelt etwas. Es hat etwas mit Krieg, Armut, Kampf um Unabhängigkeit zu tun. Auch wenn gefühlt schon tausend mal davon berichtet wurde, hat man das Gefühl, dass das Thema nicht mehr im Vordergrund steht und vergessen zu sein scheint. Eben weil es schon so lange wehrt... 
Aber ich finde, dass es gerade deswegen umso wichtiger ist, sich damit auseinanderzusetzen und auch dramatischer erscheint.
Jetzt ist das Buch schon relativ alt. Inzwischen (nach 2015) kann die Geschichte auch stellvertretend für andere Flüchtlingskrisen Diskussionsstoff sein. Damit will ich keinesfalls sagen, dass alle Kriege und Kriegsgebiete auf der Welt über einen Kamm geschert werden sollen. Ich finde aber, dass die Autorin hier sehr gut die Emotionen eines kleinen Jungen darstellt, der vom Krieg gezeichnet ist. Das eignet sich besonders gut für die Schule. Wichtig ist, dass der Unterricht all die Hintergründe und offenen Fragen, die dieses Buch mit sich bringt, auffangen kann. Sonst stehen die SuS alleine da.

Kein Wort scheint überflüssig, und doch ergeben sie zusammen ein literarisches Kunstwerk. 
Die Zitate, die ich hier angeführt habe, sind längst nicht alle, die ich gefunden habe. Eigentlich hätte ich das gesamte Buch hier aufführen müssen, das ist nicht übertrieben.
Die Sprache, die in diesem Buch benutzt wird, ist kindgerecht und wirkt dadurch nur umso verletzlicher. Die Emotionen kommen garantiert beim Leser an und das ist auch die Sprache, die dieses Buch spricht: Im Grunde sind die Gefühle unseres Protagonisten die ersten Anhaltspunkte, die wir über die Handlung bekommen. Das macht die Erzählung so besonders.
Das habe ich ja gerade schon angeschnitten. Mit dem kleinen Blaise hat die Autorin wirklich eine sehr berührende Sicht auf die Geschichte gewählt. 
Wichtig ist an diesem Punkt, dass wir in der Innensicht eines kleinen Jungen "gefangen" sind, der die Welt noch mit naiven Augen sieht. Wir lernen viele interessante Menschen kennen, wissen aber immer nur so viel, wie der kleine Junge schon versteht. Den Rest müssen wir uns denken. 

Dieses Buch lebt von den vermittelten Emotionen. Spannung steht da mit an erster Stelle. Allein schon durch den anfangs eröffneten Rahmen wird die Spannung erhöht, aber die wirklichen Nervenkitzler geschehen auf der Reise. Ich bin mir sicher, dass sich hier kaum ein Schüler beschweren wird. Im Gegenteil: Alle werden gefesselt und auch mitgenommen sein. Für ausreichend Gesprächsstoff ist gesorgt.
Es ist schwer nachzuvollziehen, wie es auf einer Flucht zugeht, wenn man nicht selbst Teil davon war. Manche mögen es nicht glauben, dass Gloria und Blaise in dieser Konstellation durch die Welt reisen und trotzdem daran glauben, irgendwann in Frankreich anzukommen. Ich fand es nicht zu weit hergeholt. Wenn alles aussichtslos scheint, bleibt einem nichts anderes übrig, als nach den Sternen zu greifen. Das ist vielleicht der einzige Segen in einer solchen Situation...

Taschentuch! Aber ich gebe es zu, voraussehbar war es schon. Haha, es hat ja auch eine Rahmenhandlung. Nur ist das schon das richtige Ende? Am Anfang weiß man es nicht.




Sehr gut als Schullektüre geeignet!


"Und wenn die Füße wehtun, stellt man sich einfach vor, sie gehören jemand anders, und beachtet sie gar nicht. Denn die Füße eines anderen können einem schließlich nicht wehtun, o.k.?
(S.45)




"[...] frage ich sie, ob man während des Krieges glücklich sein darf. Sie schaut mich ernst an und wischt sich den Schmutz von den Wangen, bevor sie antwortet. 'Glücklich sein wird zu jeder Zeit empfohlen, Monsieur Blaise!'
(S.60)


"Nun bin ich zehn Jahre alt, habe ein gebrochenes Herz, blutige Füße, einen leeren Magen und breche mal wieder mit Gloria und unserem Marschgepäck ins Ungewisse auf, endlose Straßen entlang. Jetzt sind wir Flüchtlinge ohne Zuflucht, und ich glaube, ich habe mir eine Verzweiflung eingefangen.
(S.68)

"Manchmal muss man sich Geschichten ausdenken, damit das Leben erträglich bleibt, stimmt's?
(S.81)

"In diesem Augenblick verliebe ich mich zum zweiten Mal in meinem Leben.Auch dagegen kann man nichts tun. Das sind die Widrigkeiten des Lebens, oder?
(S.83)

"Ich kenne zwar dein Gesicht nicht, du Dummkopf, aber ich kenne dein Herz und den Klang deiner Geige!
(S.92)

"Ich weiß nicht, wer die Grenzen erfunden hat, ob Gott, Allah oder sonst jemand, aber ich finde, es war eine schlechte Idee.
(S.97)

"Das Leben ist voller Versprechen, die man nicht hält...
(S.188)

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog