7. Lektion [Erlebtes Lesen]

  Heute soll es um Hörbücher gehen


Was denkt ihr? Kann man, nachdem man ein  Hörbuch gehört hat, sagen, dass man das Buch gelesen hat? 

Genau hier spalten sich die Gemüter. Die einen hören selbst viele Hörbücher und sind es nicht anders gewohnt, als Lesen und Hören gleichwertig zu betrachten.

Andere hören vielleicht kaum Bücher und sehen beim Hören keine "Arbeit" wie beim Lesen. Wir wollen der Sache nun auf den Grund gehen und vielleicht sogar eine vernünftige Antwort auf die Frage finden.


Worin unterscheidet sich das Hören vom Lesen


Wenn wir ein Buch lesen, dann sind wir frei in unserer Vorstellungskraft. Wir sind diejenigen, die die Szenen ausmalen, Figuren ein Gesicht und auch eine Stimme geben. Wir entscheiden, welche Wörter wir in Sätzen betonen, in welchem Ton eine wörtliche Rede gesagt werden soll. 
Natürlich kann uns der Autor lenken, er kann eine Intention in den Text hineinlegen und auch das Layout macht viel aus. Aber die Textarbeit leistet der Leser.

Bei einem Hörbuch können wir den Figuren immer noch selbst ein Gesicht geben. Und, was viele nicht meinen, aber auch die Stimme einiger Personen kann man sich noch abweichend von der Erzählerstimme vorstellen. Denn meistens haben wir nicht verschiedene Leser, das wäre ja dann ein Hörspiel. Mit ein wenig Übung identifiziert man die Stimme als Erzähler.

Allerdings gelingt das bei homodiegetischen Werken im Falle des Protagonisten nicht mehr. Der Ich-Erzähler wird schnell mit dem Sprecher in Verbindung gebracht und da stört es schon mal, wenn die Stimme so gar nicht zu der eigenen Vorstellung passen will.

Was wird einem Hörenden somit genommen? Ein Teil der Freiheit in der Vorstellung und der Textauslegung. 
Der Sprecher kaut den Text gewissermaßen für uns vor, in dem er da Betonungen setzt, wo er es für richtig hält und auch die Pausen und den Stimmenklang selbst wählt. Das beeinflusst gewissermaßen die Charaktere der Figuren. Andererseits muss man aber auch relativieren, dass die Autoren an vielen Stellen meistens ohnehin deutlich machen, ob geflüstert oder geschrien wird und mit ein bisschen Menschenverstand würde man den Text selbst ähnlich intonieren.


Wat nu? Ist Hören keine Arbeit?


Wer das sagt, der hat wahrscheinlich höchstens Hörspiele gehört. Die lassen sich tatsächlich nicht als Lesevorgang umschreiben. Ich stelle Hörspiele eine Stufe unter Filme, weil wir bis auf den visuellen Sinn nur noch aufnehmen, kaum noch imaginieren müssen.

Bei Hörbüchern ist das ganz anders! Ich würde sogar sagen, dass es einfacher ist, ein Buch zu lesen als es sich vorlesen zu lassen. Denn man muss erst einmal lernen, aufmerksam zu sein.

Wenn ich längere Zeit keine Hörbücher mehr gehört habe, dann muss ich erst mal wieder reinkommen. Man muss lernen, seine Gedanken zu kontrollieren und nicht immer abzuschweifen. 
Beim Lesen kann das auch passieren, aber da merkt man es viel schneller und findet die Stelle, wo man sich verabschiedet hat. Das ist bei Hörbüchern nicht so einfach.

Wer aufmerksam Hörbücher hört, der übt quasi das aufmerksame Zuhören und das ist eine unterschätzte Fähigkeit!


Vorteile von Hörbüchern


Wer ein Hörbuch hört, der macht in den meisten Fällen zwei Sachen gleichzeitig. Somit hat man kein schlechtes Gewissen, als wenn man sich mit einem Buch aufs Sofa verkrümelt und die Zeit währenddessen weiterläuft. Außerdem ist man effizienter und die Dinge, die man dabei macht, machen auf einmal doppelt so viel Spaß. Aber nicht alle Tätigkeiten lassen sich mit einem Hörbuch kombinieren, ich denke, das ist selbsterklärend.
Ich höre gern im Auto oder auf dem Fahrrad oder beim Haushalten, Kochen, Backen Hörbücher.

Das Schöne ist, dass das Hören von Hörbüchern deine Konzentration trainiert und auch deine auditiven Kompetenzen.

Es kann auch eine Möglichkeit sein, Abwechslung in dein Leseleben zu bringen. Hörbücher beanspruchen andere Sinne und wenn deine Imagination abgestumpft ist, kann ein guter Sprecher belebend auf dich wirken!


Und dennoch...


Hören ist nicht das Gleiche wie Lesen. Du hast dich im gleichen Umfang mit einem Werk beschäftigt (Wir reden hier nur von vernünftigem und aufmerksamen Lesen/ Hören), aber beim Hören bist du dennoch eingeschränkt. Wie stark die Einschränkung ist, hängt von dir und deiner Vorstellungskraft ab. Man kann auch Widerstand gegen Autorenlenkung leisten, aber darum soll es ein anderes Mal gehen.

Ich liebe es, Hörbücher zu hören. Es gibt richtig gute Sprecher, die dir aus der Seele lesen und ich bin so dankbar für die Multitasking- Möglichkeit. Aber wenn ich die Zeit beim Lesen anhalten könnte, dann würde ich mich in den meisten Fällen dafür entscheiden, ein Buch zu lesen. Denn ich liebe auch die Stimmen in meinem Kopf und das Rascheln des Papiers. Aber das ist eine andere Geschichte...

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog